Alles dreht sich um die Küche

Ich muss jetzt mal eine Lanze für das vermutlich unterbezahlte, dafür wirklich kompetente Personal in der Küchenabteilung von Ikea brechen. Wenn ich da an unseren kläglichen Versuch denke, bei Hagebau eine robuste „Bau-Schubkarre“ zu erwerben und die überforderten Bemühungen der Mitarbeiter dort – kein Vergleich! Aber von vorn…

Um kurz vor neun brechen wir auf, um Jeff die Haustüre aufzuschließen, denn ab heute geht’s los: Der Wiederaufbau startet. Auf dem Weg zum Auto – gehe niemals zweimal – beschließt Heavy, unsere Pappberge noch eben schnell in den Container zu manövrieren. Vermutlich hätten wir das einfach lassen sollen, denn manchmal ist es einfach zu viel im Kopf. Wir beide sind groß darin, mit zu viel Aufgabenstellungen das Ein oder Andere hinten über fallen zu lassen. Nach Umparkerei des Passats wieder an meinem Auto angekommen, bricht Heavy jedenfalls auf einmal in Panik aus und beginnt, nervös zuerst an seiner Jacke, dann am Beifahrersitz und schließlich an seinem Rucksack rumzunesteln. „Scheiße“, kommentiert er sein Gewusel, „ich habe mein Portemonnaie verloren… da waren 400 EUR drin“. Irgendwas ist immer. Ich ziehe ihn schon manchmal auf, weil er beim Verlassen der Wohnungstür gebetsmühlenartig vor sich hin murmelt, was er alles eingepackt hat, um nichts zu vergessen. Dabei ist die Trefferquote dessen, was noch nicht berücksichtigt wurde, relativ hoch. Und am besten mische ich mich in dieses Ritual gar nicht erst ein, denn dann bringe ich zusätzliche Unruhe hinein, dann geht gar nichts mehr…

In diesem Fall ist er jedenfalls überzeugt, seine Geldbörse eingesteckt zu haben, und zwar in seine Sweatshirtjacke, wo sie sich nun nachweislich nicht mehr befindet. Er eilt zurück zum Papiercontainer, während ich das Auto durchsuche und mich anschließend auf den Weg zum Passat mache, um nochmal den Bürgersteig abzugrasen. Nichts. Ich laufe wieder zurück und rufe währenddessen Jeff an, der schon vor verschlossener Tür auf uns und den Holzlieferanten wartet. Heavy durchsucht die Wohnung. Als ich wieder vor unserer Haustüre stehe, schüttelt er frustriert den Kopf. Er schaut ein weiteres Mal am Papiercontainer. Auch diesmal wird der Kopf geschüttelt. Ich beschließe, selbst noch einmal in der Wohnung zu suchen. Auf halber Höhe zum dritten Stock ruft Heavy mich zurück. „Es war doch in meinem Rucksack“. Was für ein Glück. Das Adrenalin der letzten halben Stunde hat wenigstens dazu geführt, dass ich jetzt wach bin…

Jeff ist erleichtert, dass wir es noch vor Eintreffen des Holzlieferanten geschafft haben. Gemeinsam tragen wir sein Werkzeug in den ersten Stock, und dann steht der LKW auch schon vor der Türe. Während die Jungs die Balken für das Ständerwerk ins Haus schleppen, kümmere ich mich um saubere Kaffeetassen und Sanitärhygiene. Danach haben wir Zeit, nochmal die Abmessungen für die neuen Wände durchzugehen. Ich kann mich endlich absichern, dass sowohl die neuen Kleiderschränke ins Schlafzimmer als auch der Antikschrank in den neuen Flur passen. Heavy belächelt mich für derartige Fragestellungen manchmal, und ich habe in der Vorbereitung der Bauphase häufiger aus Männermündern gehört, dass man Häuser nicht nach Möbeln umbaut, aber für mich ist das wichtig. Und mit der Lösung, die gerade mal ein Jahr alten Kleiderschränke vom Heavy oben abzusägen, fühle ich mich nicht wirklich wohl. Die Dinger sind 2,37m hoch, die neuen Decken kommen vermutlich nicht ganz daran, sodass wir mit der Schräge ein bisschen schummeln und die Schränke einfach ein Stück von der Wand abrücken werden. Dasselbe gilt dann für meine Schränke. Denn beim letzten Umzug hat mein oller Kleiderschrank dermaßen gelitten, dass er einen weiteren nicht mehr mitmachen wird.

jeff

Teil 1 der Vorbereitung des Ikea-Marathons ist also mit der Abmessung der Wände erledigt. Für Teil 2 geht es zu meinen Eltern. Wir sprechen die Küchenpläne noch einmal durch. Papa hat bereits Erfahrung im Ikea-Küchen-Tetris und Mama den absichernden Blick fürs Ästhetische. Hinzu kommt der jahrzehntelang wohlerprobte Haushaltspragmatismus. Schubladen, Auszüge oder doch lieber Regalböden? Glastüre? Extrahohe Oberschränke, Komforthöhe der Arbeitsplatte? Fragen über Fragen. Heavy und mir raucht auf verschiedene Weise schnell der Kopf. Bei mir überschlagen sich die Gedanken, so schnell kann ich gar nicht formulieren, und ich überfordere Andere, insbesondere Heavy, damit leicht. Sie springen nach Prioritäen durcheinander, so, wie nur ich es verstehe. Heavy dagegen ist ein visueller Mensch, er hält sich in solchen Situationen an Papier (oder wahlweise Excel) fest. Beide Eigenheiten verursachen einen Tunnelblick, nur laufen die Tunnel nicht unbedingt parallel, und so kann es schonmal knallen, weil wir nicht verstehen, wovon der jeweils Andere spricht. Meine Eltern grinsen über die peinlichen Momente einfach hinweg. Drei Stunden später sind wir endlich fertig und haben eine grobe Vorstellung von unserer neuen Küche. Dass diese später doch wieder anders aussehen wird, ahnt zu dieser Zeit noch niemand.

Teil 3 ist also die Durchführungsphase. Wir fahren mit unserer langen Liste zu Ikea. Vorab informieren wir uns im Warenlager über die Lieferkonditionen. Es scheint alles nach unseren Vorstellungen möglich zu sein. Wir laufen von Abteilung zu Abteilung und notieren auf einem kleinen Zettel die Artikelnummern aller Kleinteile, die in die Lieferliste aufgenommen werden müssen. Kleiderschränke, Beistellschränkchen, Waschbeckenschrank kommen zusammen, bevor wir endlich in der Küchenabteilung auflaufen. Hier kann ich mich einloggen und unseren abgespeicherten Küchenplaner aufrufen, den die Beraterin nun mit uns durchgeht. Wegen der ausgewählten Dunstabzugshaube muss der Herd doch noch einmal versetzt werden, der Kasten mit den Rohrleitungen ist im Weg… Auszug- und Schubladenschränke werden zugunsten einer Abfalllösung ebenfalls noch einmal verschoben. Am kompliziertesten gestaltet sich die Auswahl der Arbeitsplatte. Weil wir – ich – eine Massivholzplatte haben möchte(n), unsere Maße aber leider nicht dem Standard entsprechen, müssen wir uns zwischen der hochwertigeren, maßangefertigten und der einfachen entscheiden. Beide zusammen seien nicht gut, denn die Stabverleimung ist anders gefertigt, und die Färbung fällt unterschiedlich aus. Dummerweise soll der Herd frei stehen und von der anderen Seite mit einem Überstand als Theke nutzbar sein. Das setzt eine breitere, und somit die hochwertigere, Platte voraus. Diese ist unverhältnismäßig teurer. Wir beschließen, den rechten und den Mittelschenkel mit der durchschnittlichen Ausführung und die Herdseite mit der Komfortbuche zu bestücken. Auf der Herdseite ist ein anderer Lichteinfall, fällt mir ein, damit wird die unterschiedliche Färbung nicht so auffallen. Dort bekommen wir nun 90cm Tiefe, damit man auf der anderen Seite sitzen und seine Beine frei bewegen kann. Die Idee, ein Thekenbrett in einer weiteren Stufe oben auf zu setzen, lassen wir ganz schnell fallen, als wir sehen, dass wir damit über 250 EUR sparen können. Meine Güte. Das Teuerste an der ganzen Küche ist im Verhältnis meine Massivholzplatte. Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen… Und gleichzeitig bin ich dankbar, dass Heavy das kommentarlos mitträgt. Eine furnierte Spanplatte kommt mir nicht in die Tüte, und eine Steinplatte ist genauso teuer und (für meinen Geschmack) auch noch hässlich dazu. Die Verkäuferin denkt an alles. Dass wir Zierblenden brauchen z.B., wenn der Herd eine Insellösung darstellen soll. Dass wir die Küche im Boden verschrauben müssten, wenn wir die Theke noch oben auf setzen würden, weil ansonsten die Schränke kippen, wenn sich jemand darauf abstützt. Dass wir eine Dampfsperre für die Spülmaschine brauchen, weil sich ansonsten das Buchenholz durch die Hitze mit der Zeit nach oben wölbt, dass wir wegen der Fenster auf die Position der Mischbatterie achten müssen (wie gut, dass Papa da schon ein Auge drauf hatte!). Dass wir den Spülschrank als Abfallschrank nutzen sollten, weil wir ansonsten Platz verschenken. Ich merke, dass auch Heavy der Verkaufsberaterin gegenüber ausnahmsweise freundlich gestimmt ist. Keine Spur von der üblichen „das-sind-alles-Verbrecher“-Einstellung. Nur beim Thema Dampfsperre bemerke ich das Zucken um seine Mundwinkel. „Was ist denn das für ein Material, und was kostet das?“

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Als wir – eigentlich zufrieden – mit unserer Lieferliste in Richtung Kasse marschieren, bleibt er der Auslage silberner Folien stehen. „Wenn das mal ausreicht“, kommentiert er zweifelnd, und hält mir die Packung mit der Aufschrift „Dampfsperre“ unter die Nase. Kurz vermisse ich den Satz, dass er die auch bei 3M selber machen kann, bis mir einfällt, das bestimmte Gepflogenheiten wohl endgültig der Vergangenheit angehören. Jedenfalls die 3M. Zum Glück. Und über 5,99 EUR muss man selbst mit Heavy nicht lang diskutieren. Kritisch wird es erst im zweistelligen Bereich. Unser Beratungsgespräch ging über viereinhalb Stunden, inklusive Schichtwechsel. Beide Damen waren sehr kompetent und gaben uns wertvolle Hinweise, wie wir unsere Küche kostengünstig und trotzdem schön, aber praktisch halten können. Über den Topf, den ich mir in der Markthalle noch einpacke, weil der auszurangierende Kollege zuhause mir andauernd die Finger verbrennt, verliert Heavy schließlich doch noch seine Geduld. 36 EUR für ein Teil mit innenliegenden Schrauben, das kann er nicht nachvollziehen. Ich bin ein bisschen geknickt, trotzdem überzeugt genug von der Qualität meines Ikea-Eiertopfes zuhause, sodass ich die schlechte Stimmung in Kauf nehme und das Teil trotzdem einpacke.

Die Küche wird übrigens, wenn alles gut geht, am 16.04. inklusive aller weiteren Kleinteile, die wir ausgesucht haben, geliefert.

Nach der langen Odyssee geht’s in den Drusushof. Hacksteak mit Möhrengemüse für 6,50 EUR ist ein echter Schnapper, und außerdem superlecker. Heavy gibt sich stilsicher Kasseler Kotelett mit Sauerkraut, Kartoffelpürree und Weizenbier.

Was für ein Tag!