Liebe ARD, oder: Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten!
Das hab ich nun anscheinend davon, dass ich mich doch auf diese Handygames eingelassen habe… Da hab ich jahrelang eifrig bei Facebook jede nervige Spieleanfrage geblockt und mich auch lang genug dagegen gesträubt, mir ach-so-nützliche Apps auf mein Smartphone zu installieren, und dann SO was!
Ich schätze, es liegt jetzt ungefähr drei Monate zurück, dass wir uns vom „Quizduell“-Fieber haben anstecken lassen. Mit der Zeit hat man sich dran gewöhnt und lässt es nicht gern auf sich sitzen, von bestimmten Freunden immer wieder abgezockt zu werden. Ich persönlich kann mich außerdem so dermaßen über mich selbst ärgern, weil meine Konzentration keine 2 Minuten am Stück anhält und v.a. schlagartig in Nervosität umschlägt, sobald dieser blöde Zeitbalken anfängt, kürzer und später sogar ROT zu werden. Das bedrohliche Piepen gegen Ende haben die Programmierer sich dankenswerterweise gespart. „Quizduell“ ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir sind beide schwer im Stress – Heavy als Bauherr, ich als -beraterin im Hintergrund und außerdem im neuen Job – und trotzdem… Bei Aldi an der Kasse, im Stau oder an der roten Ampel, auf dem Klo, auf dem Baumarktparkplatz oder als Katalysator nach einem Meeting, für die Beantwortung von Quizfragen finden wir, manchmal sogar nebeneinander sitzend, doch immer irgendwie Zeit. Und wenn nicht, läuft das Spiel eben ab. Gibt Schlimmeres. Ich habe Heavy inzwischen wenigstens 8x geschlagen, meinen Angstgegner immerhin auch schon 3x. So weit, so gut.
Dass „Quizduell“ super läuft, haben anscheinend auch die Fernsehmacher kapiert. Und weil man insbesondere bei den Öffentlich-rechtlichen auf Quotenfang ist, haben sich die Damen und Herren der ARD auch schon überlegt, wie man die Kuh für sich melken könnte: Jörg Pilawa zurückholen – der hat ja schonmal kein schlechtes Bild abgegeben, so viel doofer als der Jauch hat er sich nicht angestellt – und Pionier spielen. Interaktives Fernsehen, so ganz multimedial, mit App und so. Hat noch keiner vorher gemacht. Wir holen sie alle direkt in die Sendung, einfach über UMTS, und dann ist ja auch egal, wenn keiner einschaltet. Registrieren können sich nur diejenigen, welche die Premium App von „Quizduell“ für ca. 2 EUR heruntergeladen haben. Macht eine Menge Holz für die Programmierer und die Nutznießer von DasErste. Und die Ommas, die nicht kapieren, wie’s geht, schalten trotzdem weiter ein und können mitraten. Weil Apps so angesagt sind, schalten dann bestimmt auch die Jüngeren ein. Ja, richtig, die Jüngeren, die wollen sie ja eigentlich erreichen. Denn dass ARD und ZDF ein Zielgruppenproblem haben, ist ein jahrelang öffentlich diskutierter, aber deswegen noch lang nicht gewonnener Kampf um die Quote.
Seit dem 3. Januar 1995 bin ich abhängig. Mittlerweile kann ich damit umgehen. Es tangiert mich nicht mal peripher, wenn Heavy mich auslacht oder vor sich hin schimpft, weil die Dialoge ja so unecht sind, die Schauspieler so untalentiert oder der Plot so berechenbar. Mir doch egal. Heute stehe ich dazu: Ich stehe auf „Verbotene Liebe“ als Feierabendritual. Und weil ich in der letzten Zeit selten dazu komme, mir die Soap zur Ausstrahlungszeit anzusehen, nehme ich jede Folge auf. Die allererste Folge (die am 2. Januar 1995) habe ich leider verpasst. Mein Bruder war irgendwann so zuvorkommend, mir die erste Staffel als DVD zu schenken, damit ich sie mir nachträglich angucken konnte. (Das war zu einer Zeit, als es noch nicht „Verbotene Liebe Classics“ auf RTL Passion gab. Hier bin ich als Sky-Abonnent ganz weit vorn…)
Die Sendung hat damals eingeschlagen wie eine Bombe. Täglich eine halbe Stunde Gegensätze (Grafen-Gefrotzel auf „Schloss Friedenau“ vs. Unterschichten-Probleme im „No Limits“), herrlich. Ich war damals neunzehn, im besten Alter für emotionalen Dünnpfiff also. Und dann habe ich mich so herrlich daran gewöhnt. Auch 1998, als ich angefangen habe zu studieren, schauten noch 2,9 Mio. dabei zu, wie Clarissa und Tanja von Anstetten sich gegenseitig das Leben zur Hölle machten. In Zeiten des fiesesten Liebeskummers, der größten Prüfungsängste und der schwierigsten Stressphasen im Job: Mit VL konnte ich wenigstens eine halbe Stunde abtauchen und so tun, als wäre alles wie immer. Laut Wiki hat sich diese Zahl bis 2013 auf 1,3 Mio. mehr als halbiert. Das bedeutet einen Marktanteil von nur noch 6,8%. Die Zahlen von „Marienhof“ hatten sich noch drastischer verschlechtert, weshalb der im Juni 2011 abgesetzt wurde, zugunsten der VL-Fans: Man verlängerte die Sendung auf eine knappe Stunde. Allerdings nicht ohne lautstark davor zu warnen, dass auch die Geschichten um Arm und Reich unters Messer geraten könnten, wenn sich die Vorabendquote nicht bald endlich verbessere. Ehrlich gesagt habe ich keinen Bock, jetzt die Einschaltquoten der zeitlichen Werbe-Konkurrenten „Explosiv“ (RTL), „Simpsons“ (Pro7) oder „MietenKaufenWohnen“ (VOX) zu recherchieren. Was die „Simpsons“ angeht, die ich selber nicht gucke, erlebe ich, egal mit wem ich zufällig mal reingezappt habe, jedesmal denselben Monolog: „Die Folge kenn‘ ich schon…“ – die Trefferquote, auf eine neue Folge zu stoßen, scheint bei höchstens 15% zu liegen. Ich glaube, ich habe das bewusst noch nie erlebt, denn dann wäre der Monolog anders verlaufen, und ich könnte mich daran erinnern… Die Inhalte von „Exklusiv“ ertrage ich nur in sediertem Zustand, und allein beim Lesen des Schriftzugs „MietenKaufenWohnen“ schießt mein Puls zur Zeit innerhalb von Hundertstelsekunden in die Höhe. Mal davon abgesehen, dass der Werbeanteil aller drei Sendungen bei geschätzten 30% liegt. By the way: Ich gehöre zu den wenigen Irren, die stolz ihre GEZ-Gebühren zahlen. Das ist der Grund, warum ich nie auf die bescheuerten Facebook-Aufrufe, Petitionen gegen den neuen Rundfunkbeitrag zu unterschreiben, reagiere. Dasselbe gilt im Übrigen für GEMA-Hasstiraden. In dem Fall haben Urheberrechte nunmal ihren Preis, und das ist gut so.
Ich weiß, noch ein paar Absätze weiter oben habe ich mich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, aber ich stehe tatsächlich auf konservatives Fernsehen – Yogeshwar und Konsorten, Dokumentationen und zumindest halbwegs neutrale Berichterstattung. Ich mag Jörg Kachelmann, den die Umstände leider aus dem „Riverboat“ und dem ARD-Wetter vertrieben haben (auch wenn die Frotzeligkeit seiner Glaubwürdigkeit nicht immer gut zu Gesicht steht). Sonntags freue ich mich über „Dittsche“ und „Zimmer frei“, freitags über „Inas Nacht“ und die anderen Talkrunden auf den Dritten. Wenn ich frei habe, lasse ich mich am liebsten von der sonoren Stimme des „Panda-Gorilla-&-Co.“-Sprechers in die wohlverdiente Siesta einlullen. Der Montag geht nicht ohne Frank Plasberg. Nur „Tatort“… da kann ich nicht mithalten, daran habe ich mich im Studium irgendwie satt gesehen. Naja, und eben „Verbotene Liebe“.
Zurück zum Ausgangspunkt: Da war ja noch diese App. Nun hat sich die ARD also in den Kopf gesetzt, die Vorabendquoten zu verbessern. Was soll da besser funktionieren, als mal so richtig „2014“ zu sein? Die Idee ist ja zugegebenermaßen spannend, und sie hatten mich damit auch wirklich gepackt: Heavy und ich haben eine Whatsapp-Gruppe gegründet, unsere Angstgegner gleich eingeladen – wir wollten mit ihnen ins Studio und gegen „Team Deutschland“ die fette Kohle absahnen. Da wusste ich noch nicht, dass „Quizduell“ zur Sendezeit von „Verbotene Liebe“ ausgestrahlt wird – und mein heißgeliebter Absacker damit erstmal für 3 Wochen (!) auf Eis gelegt wird. Der Plan, damit den Vorabend zu verbessern, ging für DasErste gleich in mehrfacher Hinsicht nicht auf: Die Technik hinkt, inzwischen spielen die Gäste der Sendung schon vier Tage mit ihrem Studiopublikum, was ein bisschen an „Die Pyramide“ oder „Dalli Dalli“ erinnert. Der vermeintliche Hacker hat sich als Vorwand entpuppt – die ARD sucht seit Tagen verzweifelt nach dem Grund, warum registrierte User sich mit ihrer App nicht in die Sendung einloggen können. Montag haben Heavy und ich noch gemeinsam vor der Glotze gesessen, uns kaputt gelacht und dabei festgestellt, dass Pilawa souverän überspielt. Spätestens an Tag 4 (heute) wirkt er mit seinem Merkel-Zitat auf dem Shirt („Das Internet ist für uns alle Neuland.“) eher gequält-albern. Auch die Einspieler mit der „Großstadtrevier“-Crew (er gibt eine Vermisstenanzeige auf – die App ist weg, haha) ändern daran nichts. Und als bekennender VL-Fan finde ich es gar nicht witzig, mir ewig diese Querverweise anhören zu müssen, dass, wenn das so weiter geht, morgen wieder die Soap über den Äther geht. Nun ja. Obwohl das Ganze ja irgendwie schon ein Mediendebakel ist und reizvoll zu beobachten, wie der Sender damit weiter umgeht, lagen die Einschaltquoten vom „Quizduell“ gestern bei 1,32 Mio., somit bei 8,1%. Damit kann jetzt nun auch keiner behaupten, damit irgendwas zur Verbesserung beigetragen zu haben. Und jünger sind die Zuschauer sicher auch nicht geworden – die jüngere Generation beschränkt sich vermutlich sowieso auf die App. Ein grauhaariger Pilawa mit albernen T-Shirts (auch mit funktionierender App) zieht auf Dauer nur mehr Omis, aber sicher nicht die heiß begehrten Teens und Twens vor die Mattscheibe. Ihr lieben Intendanten und Entscheider, wollt ihr wirklich, dass die Jugend auf euch aufmerksam wird? Wollt ihr Jamba-Klingeltöne und Clerasil-Gesichter? Dann guckt ab von den Privaten, schockiert doch mit der 354. Reality-Show, setzt schlecht erzogene Jugendliche auf einer Insel aus und lasst sie Würmer fressen oder Gewaltmärsche machen, lasst Arbeitslose übers Finanzamt schimpfen oder sich vor Gericht aufreizend anziehen und Kaugummi kauen, spielt einfach mal so richtig innovativ mit Ekel und Fremdscham. Weit weg davon seid ihr mit Pilawas T-Shirt jedenfalls nicht. Ich weiß nicht recht… lasst mir und den 1.299.999 anderen Zuschauern doch einfach die „Verbotene Liebe“ und ein klein bisschen heile Welt im vertrauten Gekebbel zwischen Paaren, wie Dialoge nur so unrealistisch sein können. Und streicht stattdessen Schlagersendungen vom Samstagabend-Programm – und die Pilcher raus aus dem Sonntag. DAS könnte den Durchschnitt schlagartig verjüngen. „Wetten dass…?“ habt ihr doch auch irgendwie klein gekriegt. Im zweiten Schritt könnt ihr dann überlegen, ob „Rote Rosen“ und „Sturm der Liebe“ zur Zeit, wo Jugendliche aus der Schule kommen, die Idealbesetzungen sind. Wenn ihr Jugend erreichen wollt, braucht ihr den Mut von Spartensendern wie ZDFneo in eurem Nachmittagsprogramm – schnellere Schnitte, grellere Farben statt Weichzeichner und noch schlimmere Dialoge, als sie in der VL jemals gesprochen wurden. Vor allem aber braucht ihr jüngere und frechere Zugpferde. Wie wäre es mit einer Samstagabendshow mit Ulmen oder Kuttner? Oder, was immer funktioniert hat: Musik „von heute“!
Peinlicher noch als die Betaversion eines interaktiven Formats live ist allerdings „Die längste Nacht von Königsbrunn“ als Webserie. Geht’s noch??