Tag 5 – Wir entern den Vatikan

Heute ist der große Tag.
Seit Sonntag habe ich mich schon darauf gefreut, noch einmal dieses unbeschreibliche Gefühl zu erleben, mich von den Jahrhunderten, Farben und unfassbar schönen Kunstwerken der Vatikanischen Museen und diesem Widersinn zwischen frommer Ehrfurcht und pompösem Prunk übermannen zu lassen.
Da ich Heavy einen Rombesuch voraus bin, wurde ich bereits im Zuge meines ersten Trips auf der Studienfahrt 1996 in die touristischen Gepflogenheiten des Vatikan eingeführt: Weibliche Schultern, sowie Decolleté sind bedeckt zu halten, und Hose, Rock oder Kleid sollten mindestens Knielänge besitzen. – Ergo: Trotz vorhergesagter sonnig-warmer Wetterverhältnisse ist nix mit kurzen Klamotten. Aus früheren Einträgen wisst ihr bereits, dass Heavy die Frostbeule von uns Beiden ist, ich dagegen nichts mehr hasse als zu warm angezogen zu sein. Demnach war die Kleiderfrage heute nicht ganz einfach.
Natürlich bin ich auf sämtliche Wetterverhältnisse eingerichtet: Wir haben Deutschland bei verregneten 16°C verlassen und erwarten in Malta locker Temperaturen um die 25°C. Also ist sowohl das Übergangsmäntelchen am Start, als auch luftige Hauch-von-Nichts-Blüschen, kurze Hosen, geschlossene und offene Schuhe.Allerdings stellt sich für Frauen ja immer die Frage der richtigen Kombination!

Bei meinen heutigen Überlegungen hatte Heavy es wirklich nicht leicht und konnte sich sein Augenrollen kaum verkneifen: Für die viele Lauferei sind Chucks am besten, zumal da ja diese Blase vom Vortag ist… – die Schuhe passen allerdings nur zur langen Hose so richtig gut. Lange Hose geht nicht, weil warm. Die roten Schuhe gehen nicht, weil Blase am Fuß. Bleiben also nur die weißen Schuhe. Ohje. Die haben Absatz. Ob das mit der Blase gut geht? Andererseits – dazu passt der lange Rock, der bedeckte Knie sicherstellen würde und gleichzeitig luftig genug ist, um mich nicht kaputt zu schwitzen. Heavy konnte (oder wollte) mir zu dem Thema nicht wirklich etwas raten. Er hätte wahrscheinlich eh nur verlieren können.
Der langen Rede kurzer Sinn (ich könnte das jetzt ewig weiter erläutern, möchte aber den männlichen Lesern die Schwachsinnigkeit weiblicher Kleiderschrankgedankenstrudel ersparen): Es wurde der lange Rock und die hohen offenen Schuhe. Heavy verband mir meine Blase liebevoll mit Tape aus seiner 3M-Notapotheke. Und eigentlich lief es sich auch ganz gut damit…

Gegen 12 Uhr war es dann endlich soweit. Nachdem wir von gefühlten 25 Leuten auf der Straße angequatscht wurden, ob wir eine geführte Tour, deren Preisspanne von einer zur nächsten Straßenecke zwischen 20 und 45 EUR schwankte, mitmachen wollten, entschieden wir uns für einen gänzlich autarken Besuch des Vatikans.
Ich war völlig überrascht, wie sich die Zeiten doch geändert haben: Im Eingangsbereich der Vatikanischen Museen passierten wir eine Sicherheitskontrolle, die sich gewaschen hat und sich von denen in Flughäfen nur unwesentlich unterscheidet. Kameras und Handys aus den Taschen, Rucksäcke und elektrische Geräte liefen in Plastikboxen über ein Metalldetektorfließband. Ich habe noch auf die Frage, ob ich irgendwelche Flüssigkeiten mit mir führe, gewartet. – Der 11. September ist also auch an Rom nicht spurlos vorbei gegangen. Eigentlich hätte mir das klar sein müssen.
Nach der Sicherheitskontrolle gab’s dann die Tickets für 15 EUR pro Nase, was in Anbetracht der Fülle der Sammlungen in den Museen durchaus angemessen ist.

Wir entschieden uns für eine an unsere Interessen angepasste Route, da unser VaV mit einem fünfstündigen Aufenthalt drohte, sollte man die vollständige Route mit allen Museen durchlaufen. (Mein Pflaster fing langsam an sich zu lösen.)
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Börsch vor Brunnen-Sarkophag

Es ging also durch die römischen Skulpturen von Helden, Päpsten und Tieren, anschließend gab’s eine Reihe Sarkophage und noch eine Nische mit ebensolchen, die von den Römern irgendwann mal zu Brunnen umfunktioniert worden waren. Wie praktisch – wenn der Sarg nicht mehr gebraucht wird, bastelt man sich nen Trevibrunnen für den Hausgebrauch… Okay, vielleicht ein bisschen morbide, aber so in der Art muss das wohl abgelaufen sein.

ägypt. Steintafel

Heavy hat einen Faible für Ägypten, und ich habe im Laufe dieser Woche nun auch schon dreimal die Geschichte von seinen gelassenen Federn… ähm… Haaren auf dem Moses-Berg auf der Sinaihalbinsel gehört. (Ich höre sie mir auch gern noch weitere 17x an, denn ich habe gehört, dass man Menschen auch mit ihren Macken zu nehmen hat, es ansonsten besser bleiben lassen sollte mit den Gefühlen… Ähm, wo war ich??)

Ägypten also. Auch einen solchen Bereich beinhalten die Museen, davon war der Gute ganz angetan, und freute sich über hyroglyphenbeladene Steintafeln, Mumien und massenweise dieser Särge, die aussehen wie russische Matroschkas. Leider war er so mit Fotografieren und Staunen beschäftigt, dass die Aufklärungsarbeit darunter gelitten hat. Ich habe von Ägypten nicht viel Ahnung, weshalb ihr euch Hintergründe dazu denken müsst – oder aber Heavy fragen. (In der Zwischenzeit hing mein Pflaster nur noch an einem Faden, der Fuß tat weh, und ich musste ab und zu darauf schielen, was Heavy argwöhnisch zur Kenntnis nahm.)

Die Vatikanischen Museen verfügen über eine großzügig angelegte Außenanlage, von der aus man u.a. die Kuppel des Petersdoms sehen kann. Es gibt eine Dachterrasse auf der Seite des Eingangsbereichs, und auch zwischen den einzelnen Museen gelangt man immer mal wieder nach draußen.

Innenhof mit Blick auf Peterskuppel

Ein schöner Innenhof mit einer großen Rasenfläche animiert eigentlich zum Picknicken mit Ciabatta, Tomaten, sauren Gurken und Fleischsalat (!) auf einer roten Karodecke, was natürlich leider verboten ist…

Nach Rom und Ägypten als Themenkomplexe gelangen wir allmählich zu des Pudels Kern und nähern uns Stück für Stück der Sixtinischen Kapelle. Auf dem Weg dorthin haben mich Deckenmalereien eines italienischen Künstlers aus der Renaissance, dessen Namen ich leider vergessen habe, schwer beeindruckt. Er war so von diversen römischen Skulpturen gefesselt, dass er eine Technik entwickelt hat, welche einen täuschend echten 3D-Reliefeffekt vorgeben. Heavy wollte mir zuerst gar nicht glauben, dass die „Skulpturen“ an Wänden und Decken „nur gemalt“ sind…

Deckenmalerei mit 3D-Effekt

(Während wir darüber debattierten und er dabei die Decke fotografierte, riss ich das nur-noch-an-einem-Faden-hängende Pflaster einfach heimlich ab und sah das darunter liegende, stark gerötete Übel.)

„Crocifissione“, Gerardo Dottori (1927)

Kurz vor dem Ziel der Kapelle gab es eine gemischte Sammlung von Bildern diverser Künstler. Ehrlich gesagt empfand ich diese als irgendwie unkoordiniert hinein gewürfelt, bis auf hauptsächlich christliche Motivwahl war nicht klar, was diese Bilder/Künstler in den Vatikanischen Museen zu suchen hatten. Zudem wirkten, was Geschmackssache ist, einige der Werke gewöhnungsbedürftig schlecht gemacht. Ein modernes Ölgemälde vom gekreuzigten Jesus hat mich allerdings gefesselt. Die farbliche Anordnung hat etwas Besonderes, und besonders eindrucksvoll finde ich die Interpretation des „Heiligenscheins“ – das Bild transportiert mit der Farbenspielerei geschickt die Ausstrahlung Jesu. Ich fand es so bemerkenswert, dass ich es in die Fotos für den Blog aufgenommen habe.

In der Sixtinischen Kapelle angekommen, ließen wir uns zunächst von einem Ordner zurecht stutzen, weil wir eine Stufe zu weit oben auf einer (dreistufigen) Treppe stehen blieben, um nur brav Michelangelos Deckenmalerei anzusehen. Andere Touristen wurden („lautstark“ ist noch untertrieben) darauf hingewiesen, sich gefälligst ruhig zu verhalten. In der Kapelle ist Fotografieren verboten, sodass wir davon keine Fotos haben. Abdrucke davon gibt es in Rom fast mehr als Einwohner, und den meisten sind die Motive vermutlich ohnehin geläufig.

Für unseren bedächtigen, aber dennoch zielgerichteten Marsch brauchten wir etwa zwei Stunden.

In der Zwischenzeit humpelte ich ordentlich. Normalerweise hätte ich mir die Schuhe ausgezogen und wäre barfuß weiter gelaufen, was aber sicher weder in den Museen, noch in der Basilika erwünscht war. Deshalb verabredeten wir eine kurze Pause, nachdem wir den langen Gang aus der Kapelle in Richtung Kirche gelaufen waren. Dazu wollte ich aus dem Menschengewusel raus, mich vor irgendeine Mauer setzen und in Ruhe eine Zigarette rauchen. Heavy war unsicher, ob wir so ohne Weiteres wieder zurück könnten. Ich meine mich zu erinnern, dass wir 1996 einfach durch das Haupttor in den Dom hinein gegangen waren. Also sprach nichts gegen die anvisierte Pause.  – Schuhe aus, was eine Wohltat!

Nach einer Viertelstunde fiel mir auf, dass ein Schild darauf aufmerksam machte, dass auf jeder Seite der Kirchentreppen nur jeweils in eine Richtung gelaufen werden durfte. – Auf unserer Seite befand sich der Ausgang. Kein Problem, wechseln wir also auf die andere Seite. Vor den Treppen war der bestuhlte Bereich des Petersplatzes großzügiger als ein Fußballfeld abgesperrt. Also mussten wir außen rum, ich immernoch barfuß, das heiße Kopfsteinpflaster gab mir den Rest… Als wir endlich den Eingang auf der anderen Seite sehen konnten, fiel unser Blick auf eine Riesenschlange.
Leicht angesäuert über meine eigene Blödheit, Heavy verständlicherweise enttäuscht, realisierten wir, dass das heute nichts mehr werden würde mit uns und dem Besuch des Heiligen Vaters.

Den Rest des Tages verbrachten wir wieder mit dem üblichen Spiel der Restaurantsuche, diesmal mit einer veränderten Schwierigkeit: Die Lokale, die wir im Vorfeld ausgeguckt hatten (übers Internet anstatt unter Zuhilfenahme des VaV, man lernt ja dazu), hatten Öffnungszeiten, die nicht mit unseren inzwischen deutlich knurrenden Mägen zusammen passten.
Wir entschieden uns, auf dem Weg nach Hause einfach das nächste Restaurant mitzunehmen, das uns unter die Nase kam, und kamen nichtmal schlecht davon. Der gemischte Vorspeisenteller war großartig, meine Spaghetti waren super. Heavy befand das Artischockenviertel und das halbierte hartgekochte Ei auf seiner Pizza für Quatsch, war aber ansonsten auch zufrieden.

Irgendwie schaffte ich es von dort aus auch, den inzwischen weitgehend schattigen Weg zu den ÖPNV und von unserer Haltestelle barfuß bis nach Hause zu humpeln und brauchte fast zwanzig Minuten, den schwarzen Dreck römischer Straßen von meinen Füßen zu porkeln.

Heavys kommentierte den Tag ziemlich nüchtern: „Morgen dann lieber Chucks.“
Warum nicht gleich so?

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