Kleiderbügel-Kamikaze

Was Heavy mit großer Vorfreude erwartet hat, ist für mich der persönliche Supergau und absouter Horror: Heute startet die Bauphase.
Dementsprechend starte ich, nachdem ich um eine Stunde verschlafen habe, mehr als schlecht gelaunt in den Tag. Bis ich morgens halbwegs rund laufe, brauche ich Anlaufzeit, insbesondere am Wochenende, weil ich da nicht im Wettlauf gegen die böse Stempeluhr unterwegs bin.
Wie dem auch sei, ich muggel mich erstmal noch mit meiner Bettdecke schön auf die Couch und trinke meinen ersten Kaffee vor dem Fernseher. Heavy schläft noch, und das ist gut so, denn so quatscht mich niemand zu.
Denkste!
Ich kann gerade mal zehn Minuten vor mich hingrummeln, bis er in der Tür steht, um mir mitzuteilen, dass der verpeilte Containerheini ausgerechnet heute früher kommt – nachdem er uns gestern 2x vertröstet hat und die Uhrzeit nach hinten verschoben, nur um uns um 18 Uhr mitzuteilen, dass er jetzt „plötzlich“ in einem Rolltor feststeckt und gar nicht mehr kommt. Ist klar. Was für eine doofe Ausrede. Hätte er mal gleich sagen können, dass er seine Touren etwas überambitioniert geplant hat.
Das fängt ja gut an. Genau so habe ich mir das vorgestellt, und jetzt will der Knallkopf auf nen Samstag um neun am neuen Heim empfangen werden…
Es ist so früh, ich kann noch gar nicht denken, aber das muss ich auch nicht. Heavy schließt wieder die Tür und fängt in der Küche an zu klappern. Zehn Minuten später werde ich zum Frühstück zitiert.
Ich muss ja mal anmerken, dass ich es echt gut habe. Meine morgendliche Miesmuffeligkeit wird hier sowas von akzeptiert, dass an Tagen, wo ich gar nicht klarkomme, keine großen Worte nötig sind. Trotzdem läuft alles so, wie ich es mir noch nichtmal wünschen würde. Ich bekomme ein Frühstücksei und Aufbackbrötchen, obwohl keine Zeit ist. Heavy verschwindet toastbrotkauend abwechselnd im Schlafzimmer und Bad, bis er in dicker Winterjacke vor mir steht, seine restlichen Brote zusammenklaubt und sich pflichtbewusst verabschiedet, ohne von mir zu erwarten, dass ich ihn jetzt schon ins Haus begleite.
Natürlich werde ich mir nicht den ganzen Tag einen faulen Lenz machen, aber bei der Containersache macht es nun wirklich keinen Unterschied, ob wir zu zweit da sind, oder er alleine.
Meine Aufgabe ist heute, die Schuttrutsche in Korschenbroich abzuholen und später Säcke und Gedöhns bei der Caritas oder sonstwo zu entsorgen. (Zu dem „Sonstwo“ komme ich später noch…)
Super, noch eine Folge meiner Lieblingsserie, noch einen Kaffee und 4 Zigaretten, dann ist auch mein Biorhythmus startklar. Ich ziehe mir irgendwelche Klamotten an, die schon seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen haben, und kämpfe mich aus dem Haus. Draußen weht ein rauher Wind, und es regnet.
Als ich am Haus ankomme, laden die beiden 6m³-Container schon, akkurat auf dem Vorhof aufgereiht, zum Schwitzen ein. Wie gut, dass Heavy in manchen Dingen in klassischer Rollenverteilung denkt. Mit ihm ist nichtmal ein Gespräches darüber nötig, ob ich mich am Zerhacken von Inneneinrichtung, Deckenvertäfelung und Dämmmaterial beteiligen könnte. Solche unschönen Aktionen sind mir aus vergangenen Tagen sehr lebhaft in grauenvoller Erinnerung. Wahrscheinlich sind sie der Grund für meine übersteigegerte Ubauparanoia.
(Was Heavy – bisher – nicht weiß: Mein altes Jugendzimmer im Fachwerkhaus habe ich ganz allein holzenttäfelt. Der Umgang mit Brecheisen, Hammer und Meißel ist mir durchaus nicht unbekannt. Selbst Glaswolle aus irgendwelchen Latten pulen ist mir nicht neu. Vielleicht kann er sich das sogar denken und ist trotzdem Kavalier genug, mich dazu nicht zu verpflichten. Ich bin jedenfalls nicht böse, dass er mir „Frauenaufgaben“ zugeteilt hat.)
Heavy hat Freunde eingeladen, die ihm beim Zerrupfen des Obergeschosses behilflich sein werden.
Zuerst kuppeln wir allerdings den Hänger an mein Auto, und dann verabschiede ich mich nach Korschenbroich, auf die Jagd nach der S-C-H-U-T-T-R-U-T-S-C-H-E. Was für ein Wort…
Beim Recyclingunternehmen angekommen, ist der gute Timo so lieb, mir mein Gespann nach Aufladen der Rutsche auf dem Firmenhof zu wenden. Hier ist mir das klassische Frausein eher unangenehm, aber ich werde das Rückwärtsfahren mit Hänger wohl nie kapieren. Außerdem hab ich jedesmal Angst, irgendwo gegenzudonnern. Und das mir! Einparken kann ich echt gut, sogar besser rückwärts als vorwärts…
In der Zwischenzeit ist Heavy nicht mehr allein im Haus. Zu dritt legen wir Unmengen an Kostümchen, Blusen und Sommerkleidchen in haufenweise blaue Säcke. Diese laden wir dann mit den bereits in den letzten Tagen befüllten Säcken auf den Anhänger. Wenn man die Textilberge sieht, könnte man meinen, eine ganze Fußballmannschaft habe in diesem Haus gewohnt und nicht ein einziges Ehepaar. Als der Abrisstrupp vollständig ist, machen Patrick und ich uns auf den Weg zur Caritas. „Die haben bis zwei geöffnet“, sagt Heavy. Zeit satt – es ist fünf vor eins, als wir losfahren, und fünf nach eins, als wir dort ankommen. Wir sehen gerade noch, wie jemand sich den Helm überzieht und auf seinen Roller steigen will. Ich fange den Herrn ab und frage, ob wir Kleidersäcke spenden dürfen. „Wir haben jetzt zu“, sagt er, und röhrt mit seinem Zweitakter davon. Super, wir haben 30 Säcke voller hochwertiger Omaklamotten auf dem Hänger!
Das Zeug ist viel zu schade, um es einfach in den Reißwolf zu geben, aber eine andere Alternative haben wir nicht. Der Anhänger wird gebraucht. Die Säcke in den Keller unseres Miethauses zu schleppen ist keine Option. Dazu sind es zu viele, und es ist verschwendete Zeit, die wir an anderer Stelle brauchen können. Also Mülldeponie.
Google verrät, dass die nächstgelegene Kippe in Grefrath ebenfalls bereits um 12.30 Uhr die Tore geschlossen hat. Das scheinbar Abwegigste wird somit jetzt notwendig: Wir fahren ins Luisental nach Gladbach, da kenne ich die Öffnungszeiten im Schlaf.
Ich käme bestimmt auf eine dreistellige Zahl, wenn ich zusammenrechnen sollte, wie oft meine Eltern in den letzten 25 Jahren samstags den Satz „…wir müssen los, die Kippe macht um halb drei zu“ ausgesprochen haben. Ich nehme an, in meiner Familie würde das zur Alltagskonversation zählen. Auf Rang zwei, gleich nach der Frage, was „wir“ heute Abend essen. (Diesen Part haben wir Kinder nahezu täglich übernommen, und immer mit der gleichen Antwort, Rang drei: „Hacklakütt mit Meerrettich“. Ganz früher hatte meine Oma übrigens auf dieselbe Frage mit „angebratene Vorwitznase“ geantwortet. Aber da war ich noch sehr klein.)
Wo war ich?
Achja, Luisental bzw. der Weg ins Luisental.
Weil wir davon ausgegangen sind, dass wir nur innerstädtisch unterwegs sind, haben wir die Säcke auf dem Hänger nur rudimentär gesichert. Ich bin ein bisschen skeptisch, aber auch irgendwie zu faul, das ganze Packkonzept noch einmal zu überarbeiten, und auch Patrick ist davon überzeugt, dass schon alles gut gehen wird, wenn wir „langsam“ und „vorsichtig“ fahren. „Naiv“ nennt man das wohl.
Den ersten Halt legen wir am Rasthof Vierwinden, 7km nach Autobahnauffahrt, ein, drehen den offenen (!) Sack mit den schwankenden Kleiderbügeln auf den Kopf und gehen einfach davon aus, dass damit nun alles gut ist und wir beruhigt weiter fahren können. Weitere 7km später bläht der umgedrehte Sack sich auf einmal auf und neigt sich bei jeder Kurve mahnend über die linke Anhängerkante. Aus Vorsicht fahre ich nur noch 70km/h, finde aber, dass das für Autobahnverhältnisse kaum weniger gefährlich ist als eine völlig ungesicherte Ladung. Endlich haben wir die großartige Idee, den losen Sack einfach auf den Rücksitz zu packen. (Besser spätere Einsicht als gar keine!)
Als wir ihn auf dem Park-And-Ride-Parkplatz vom Hänger fischen wollen, stellen wir fest: Weg!
Hoffentlich ist er niemandem entgegen geschleudert oder gar auf der Windschutzscheibe gelandet…
Ich gelobe reuig Besserung, denn ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass jemandem was passiert sein könnte, nur weil wir keine Spanngurte zur Hand hatten.
Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort, und so kommt es, dass ich den höchsten Preis meines erfahrenen Müllkippenbesucherlebens zahlen muss – 30 Euro blechen wir, um die Textilien einer langen, glücklichen Ehe in die Presse zu werfen.
Mir tut das in der Seele weh. Nicht nur die Kleider, wirklich alles in dem alten Häuschen war in einem sauberen und gepflegten Zustand. Für Heavy und mich ist es unnachvollziehbar, wie man die ganzen privaten Dinge wie Fotoalben, haufenweise Dias, Tagebücher und andere persönliche Sachen einfach dem Käufer überlassen kann. Die alte Dame im Pflegeheim hat sicher weder Platz noch Verwendung dafür, aber ich kann und will nicht glauben, dass sich niemand der Angehörigen dafür interessiert. Es ist so würdelos…
Auf dem Rückweg nach Neuss passiert außer einem nervigen Stau nichts weiter Spannendes.
Die Jungs haben in der Zwischenzeit die komplette Decke im Obergeschoss entfernt. Sie sehen alle aus wie Zombies, in der Luft liegen die feinen Glasfasern. Die Terrasse ist ein einziger Bretterhaufen, der Restmüllcontainer ist bis oben hin voll.
Wir haben heute richtig viel geschafft, auch wenn ich der Meinung bin, den geringsten Beitrag dazu geleistet zu haben.
zombie
container
Im Baublog findet ihr künftig detaillierte Berichte und Fotos über die eigentlichen Arbeiten.
DANKE an Bernd, Dirk, Marco, Patrick und Tom – der zumindest kurz vorbei gekommen ist, um uns ordentlich anzufeuern und die Moral der Truppe zu stärken!